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Viele Morde von rechts blieben dabei gänzlich ungesühnt. Seine Publikationen erreichten ziemlich hohe Auflagen und führten sogar zu einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Preußischen Landtag, nachdem die Ergebnisse von [[Emil Gumbel]]s Buch **Vier Jahre politischer Mord** in einer vom Reichsjustizminister Gustav Radbruch in Auftrag gegebenen Studie bestätigt wurden." | Viele Morde von rechts blieben dabei gänzlich ungesühnt. Seine Publikationen erreichten ziemlich hohe Auflagen und führten sogar zu einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Preußischen Landtag, nachdem die Ergebnisse von [[Emil Gumbel]]s Buch **Vier Jahre politischer Mord** in einer vom Reichsjustizminister Gustav Radbruch in Auftrag gegebenen Studie bestätigt wurden." | ||
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+ | **Vier Jahre politischer Mord: https:// | ||
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+ | ====VIER JAHRE POLITISCHER MORD - eine grausliche Zusammenstellung von Emil Gumbel ==== | ||
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+ | * Die Morde bis zum März 1919 ... 9 | ||
+ | * Von der Ermordung Eisners bis zum Sturz der bayrischen Räterepublik ... 27 | ||
+ | * Die Ermordungen beim Kapp-Putsch ... 51 | ||
+ | * Individuelle Morde... | ||
+ | * Nicht aufgenommene Tötungen ... 82 | ||
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+ | * **ZUR SOZIOLOGIE DER POLITISCHEN MORDE** | ||
+ | * | ||
+ | * Das Werden der deutschen öffentlichen Meinung ... 87 | ||
+ | * Bayrische Räterepublik und Kapp-Putsch ... 95 | ||
+ | * Die Rechtsnatur der bayrischen Standgerichte und das Schicksal der Hinterbliebenen ... 108 | ||
+ | * Regierungsäußerungen zu den politischen Morden... 118 | ||
+ | * Die Organisation der politischen Morde ... 124 | ||
+ | * Die öffentliche Meinung und die Morde ... 142 | ||
+ | * | ||
+ | * **TABELLEN** | ||
+ | * | ||
+ | * 161 von den Regierungstruppen in München Ermordete ... 43 (die juristisch zugeordneten Morde) | ||
+ | * Die von Rechts begangenen politischen Morde ... 73 | ||
+ | * Die von Links begangenen politischen Morde ... 79 | ||
+ | * Die Formen der politischen Morde ... 81 | ||
+ | * Die Sühne der politischen Morde ... 81 | ||
+ | * Kapp-Regierung und bayrische Räteregierung ... 99 | ||
+ | * Die strafgerichtliche Behandlung des Kapp-Putsches ... 100 | ||
+ | * Das Schicksal von 775 Kapp-Offizieren ... 101 | ||
+ | * Militärs der Kapp Regierung und der bayrischen Räteregierung ... 102 | ||
+ | * Kappisten und Räterepublikaner in der Provinz ... 105 | ||
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+ | **S. 32: Kämpfe um München** | ||
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+ | "Die Zahl der Todesopfer der Kämpfe beträgt nach dieser Zusammenstellung 557. Davon fielen kämpfend 38 Mann der Regierungstruppen, | ||
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+ | »Tödlich »verunglückt« bei den Kämpfen sind 184 Zivilpersonen, | ||
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+ | Den 38 Gefallenen der Regierung Hoffmann stehen also offiziell 107 Gefallene der Roten Armee, 186 standrechtlich Erschossene und 184 »tödlich verunglückte« Anhänger der Räteregierung entgegen. Diese Angaben beziehen sich aber nur auf den Stadtbezirk München. So fehlen z. B. die oben erwähnten, in der Umgebung von München von den Regierungstruppen Erschossenen. Ferner sind natürlich alle Fälle nicht aufgeführt, | ||
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+ | Die 184 »tödlich Verunglückten« wird man als Opfer politischer Morde betrachten müssen. Dies geht aus der oben zitierten amtlichen Zusammenstellung selbst hervor. Denn in den letztgenannten [32] 21 Fällen läßt sich die Technik des tödlichen Unglücksfalles genau nachweisen. Am 6. wurden nämlich die 21 katholischen Gesellen ermordet. (Vgl. Seite 41.) Außerdem bin ich in der Lage, weitere 140 in München in den Maitagen Ermordete namentlich aufzuführen. Wenn man also nicht annehmen will, daß der Regierungsbericht diese 140 Fälle vollkommen verschweigt oder den Tatsachen zuwider sie in eine der beiden andern Kategorien unterbringt und Fälle aus diesen Kategorien verschweigt, | ||
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+ | =====Zur Kriegsschuld====== | ||
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+ | Die Auffassung aber, wonach Deutschland während langer Jahre nur davon geträumt habe, über die übrige, »demokratisch und friedlich gesinnte Welt« herzufallen, | ||
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+ | Wenn ganz Deutschland den Krieg ursprünglich unbedingt bejahte, so darf man auch hierin nicht einen Beweis des militärischen [89] Eroberungswillens sehen. Der Glauben, von Rußland überfallen zu sein und die Meinung, tatsächlich die europäische Kultur gegen die Barbarei verteidigen zu müssen, war allgemein verbreitet. Der Krieg gegen Frankreich wurde mit der bekannten Lüge der Fliegerbombe von Nürnberg begründet, die allgemein geglaubt wurde. Der Ueberfall auf Belgien schien nur die berechtigte Abwehr gegenüber einem angeblichen früheren Einmarsch der Franzosen. | ||
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+ | ===== Die Lügentechnik der Presse ===== | ||
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+ | Die unorganisierte Verbreitung von Lügen wich bald einer systematischen Irreführung der öffentlichen Meinung. | ||
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+ | Die Mittel hierzu waren Zensur, Belagerungszustand und Schutzhaft. Offiziell erstreckte sich die Zensur nur auf militärische Angelegenheiten. Daher hat man alles Politische als militärisch betrachtet. Beinahe täglich wurden den Redaktionen Richtlinien, | ||
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+ | Auch über die Meinungen der Presse wurde das Volk völlig irregeführt. Man zwang die gesamte Presse, Regierungsmeinungen als redaktionelle Aeußerungen einzusetzen, | ||
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+ | Beim Ueberschreiten auch nur einer der vielen Zensurbestimmungen drohte den Zeitungen Verbot auf Tage, Wochen oder bis zum Kriegsende, den Redakteuren die schärfsten Strafen. (Reichstag, 28. Oktober 1916.) War ein Blatt mit all diesen Mitteln noch nicht klein zu kriegen, so kam es unter Vorzensur. Die Zensurbeschwerden mit allem, was dazu gehört, wie Belagerungszustand und Schutzhaft, füllen Tausende von Seiten der Reichstagsberichte. [90] Zur Zensur kamen dann noch die vielen kleinen Mittel, die der Regierung zur Verfügung stehen. Regierungstreue Organe wurden bei der Papierverteilung besonders berücksichtigt, | ||
+ | Die Knebelung der öffentlichen Meinung | ||
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+ | Abgesehen von der Presse hat man zur vaterländischen Lügenpropaganda das Theater, das Kino, das Plakat, das Trambahnbillett, | ||
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+ | Durch Schreibverbot, | ||
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+ | Systematisch wurde die Denunziation gezüchtet. Der tapfere Leiter dieses Reichskrieges war der Polizeidirektor Henniger von der Abteilung Ia des Polizeipräsidiums. (Am 9. November entflohen, jetzt wieder im Amt.) Den Denkwilligen entzog man jedes Tatsachenmaterial. Geburt und Grab, Unglücksfälle und Verbrechen, Streiks, Volkskundgebungen, | ||
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+ | ===== Die Revolution ===== | ||
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+ | Die Deutsche Republik ist, wie man weiß, nicht das Resultat des Aufstrebens der deutschen Bürger, sondern die Folge der Niederlage seiner Generale. Vor der Verantwortung retteten sie sich. Auf ihren Wunsch wurde eine neue fortschrittliche Regierung gegründet, deren Zweck nur sein sollte, sofort einen günstigen Waffenstillstand herbeizuführen. Rein militärische Gründe waren es, die zu diesem Schritt zwangen. Das deutsche Heer stand vor der größten Niederlage aller Zeiten. »Das Friedensangebot muß morgen noch herauskommen. Heute hielt die Truppe noch, was morgen ist, läßt sich nicht voraussagen«, | ||
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+ | Aber diese Revolution entspricht nicht dem üblichen Bild. Die wesentliche psychologische Ursache, die jahrelange Unzufriedenheit der Masse fehlte. Bis 1914 herrschte im allgemeinen Zufriedenheit. Das Standard of Life war gestiegen, das Land befand sich auf einer aufsteigenden Linie. Als die deutsche Politik Schiffbruch erlitt, folgte nicht ein Umsturz, sondern nur ein Einsturz, und da die Dynastien sich mit dem Militarismus identifiziert hatten, so schickte man sie zum Teufel. | ||
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+ | Große Hoffnung bestand, daß dies der Ausgangspunkt einer demokratischen Entwicklung werden könne, daß ein Erwachen aus dem Bann der Lügen stattfinden würde. | ||
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+ | .... Die Republik ist unerhört demokratisch — gegen ihre Feinde. Während die Hohenzollern 1866 nicht daran dachten, dem von ihnen gestürzten König und den Fürsten einen Pfennig Entschädigung zu zahlen und sie sogar ohne weiteres ihres Landes verwiesen, hat die Republik den Hohenzollern ihr ganzes Eigentum gelassen. Ja, auch wo es strittig war, ob es sich um Staatsgut oder Privatgut der Hohenzollern handelte, hat man ihnen nicht einen Pfennig genommen. Im Gegenteil, Jahr um Jahr schickte der gute deutsche Steuerzahler Millionen nach Amerongen, damit sein Kaiser in der Verbannung würdig lebe und damit ihm nicht die Möglichkeit genommen sei, die Kräfte zu sammeln, um die Republik zu stürzen. Kein einziger Thronprätendent ist des Landes verwiesen worden. Die Behörden haben die Bezeichnung »Königlich« und »Kaiserlich« nur zum Teil gestrichen. Z. B. steht selbst in dem Haus, wo der württembergische Staatspräsident wohnt, noch unangefochten ein Schild, wonach dieses Haus das »Königliche Ministerium des Aeußeren« sei. Auch die Berliner Akademie der Wissenschaften nennt sich noch immer königlich. | ||
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+ | Um diese Mentalität zu verstehen, muß man folgendes beachten. | ||
+ | ===== Tatsachen und Ueberzeugungen ===== | ||
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+ | Es ist sehr selten, daß die Menschen sich durch die Tatsachen wirklich überzeugen lassen. Meistens ziehen sie vor, besonders, wenn wie hier, die mächtigen mit dem Militär verschwägerten Interessen [93] des Großkapitals hinter der Bildung der öffentlichen Meinung durch die Zeitung stehen, aus der rauhen Wirklichkeit ins süße Reich der Märchen zu flüchten. Denn es ist bitter, langjährige Ueberzeugungen zu opfern. Daher wird zur Erhaltung des Prestiges noch heute geleugnet, daß Deutschlands Militärmacht an der vereinigten Militärmacht der ganzen Welt gescheitert ist. Vielmehr: »die Heimat hat die Front von hinten erdolcht«, sozusagen, das Volk hat die Generale verraten. Damit ist die nationale Eitelkeit der Unüberwindbarkeit gerettet, die ganze Politik der letzten 50 Jahre gerechtfertigt. Endlich ist ein Prügelknabe gefunden; die Zurückgebliebenen, | ||
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+ | Daß von Regierungsseite das Volk nicht aufgeklärt wurde, liegt daran, daß die Regierung in ihrem zum Teil von ihr provozierten Kampf gegen die bolschewistische Linke die rechtsstehenden »Ordnungsleute«, | ||
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+ | Die wirtschaftlichen Ursachen dieser psychischen Einstellung liegen auf der Hand. Das deutsche Bürgertum hat eine Zeitlang, ob mit Recht oder Unrecht spielt keine Rolle, die heute herrschende Wirtschaftsordnung, | ||
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+ | ===== Der Frieden von Versailles ===== | ||
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+ | Eine wesentliche Ursache an diesen Zuständen ist auch die imperialistische Politik der Entente. Dem besiegten kaiserlichen Deutschland des 5. Oktober stellte die Entente mit Recht die denkbar schärfsten Waffenstillstandsbedingungen. Aber auch nach der Revolution hat die Entente die ursprünglichen Bedingungen aufrecht erhalten, ja sie noch verschärft. Dies war für eine mögliche deutsche Revolution ein schwerer Schlag. Denn es war die Hoffnung [94] aller geistig Selbständigen in Deutschland, | ||
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+ | Auch nach dem Waffenstillstand hat die Entente ihre Politik, Unmögliches zu fordern, fortgesetzt und damit dazu beigetragen, | ||
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+ | Am stärksten hat der Friedensvertrag von Versailles den Nationalismus wieder geweckt. Was man ihm vor allem vorwerfen muß, ist die Tatsache, daß er ein Diktatfrieden ist, daß er Deutschland mehr schädigt, als er der Entente nützt. Der Idee des verletzten Rechtes ist keineswegs Genüge geleistet worden, indem Elsaß-Lothringen auf Grund des angeblichen historischen Rechtes an Frankreich kam. Eine Volksabstimmung hätte den lebendigen Willen der Bevölkerung ergeben und hätte gleichzeitig den imperialistischen Schreiern in Deutschland den Mund gestopft. Posen und Westpreußen sind ohne Abstimmung an Polen gekommen. Die Abstimmung in Ostpreußen, | ||
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+ | Endlich hat die Entente so ziemlich in allen Punkten nachgegeben, | ||
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+ | **Weiteres: [[Die bayrische Räterepublik]]** |