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emil_gumbel

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Feme-Morde sind ein alter Begriff für Rache an Verrätern, "die der Feme verfallen sind".

Die rechten "Freikorps" nach dem 1. Weltkrieg, die auch im Auftrag der SPD die Arbeiterräte und die Räteregierungen niederschießen sollten, machten auf eigene Faust weiter, nachdem die herrschende Justiz so milde mit ihnen umgegangen war:

Mit dem katholisch von Kardinal Faulhaber verhetzten Mörder von Kurt Eisner, mit all den Morden, denen junge Frauen und Männer in den Folgezeit der versteckten Waffenlager der Freikorps und Reaktionäre und alle offenen Antifaschisten im ganzen Land zu Opfer fielen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Emil_Julius_Gumbel (Auszüge)

Emil Julius Gumbel (* 18. Juli 1891 in München; † 10. September 1966 in New York) war ein deutsch-amerikanischer Mathematiker, politischer Publizist, Pazifist und Gegner des Faschismus. Er lehrte von 1923 bis 1932 an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, 1933–1940 in Lyon und 1953 als Professor an der Columbia-Universität.

Bekannt wurde er vor allem durch sein in der Erstauflage 1922 veröffentlichtes Buch Vier Jahre politischer Mord. Darin wies er durch vergleichende Analyse der statistischen Erhebungen die politische Rechtslastigkeit der Justiz im Deutschland der Weimarer Republik zwischen 1919 und 1922 nach, indem er die Urteile bei politisch motivierten Morden durch rechte und linke Täter einander gegenüberstellte und so zum Ergebnis kam, dass die 354 Täter aus dem republikfeindlichen rechten Spektrum – wenn überhaupt – mit äußerst milden Strafen tendenziell geschont wurden, wohingegen die 22 Täter aus dem Spektrum der politischen Linken zu unverhältnismäßig harten Strafen verurteilt wurden.

Emil Gumbel wurde mit dem Niedergang der Weimarer Republik zur Zielscheibe einer gleichgeschalteten Presse. Es kam 1930/31 zu den sogenannten „Gumbelkrawallen“ an der Universität Heidelberg. 1932 wurde ihm die Lehrberechtigung entzogen. 1933 floh er nach Frankreich und ging 1940 ins Exil in die USA.

"Insbesondere für die mehr und mehr vom nationalsozialistischen Studentenbund dominierte Studentenschaft war Emil Gumbel ein rotes Tuch. Dabei spielte auch eine Rolle, dass Gumbel Jude war. Zur Jahreswende 1930/31 kam es im Anschluss an seine Ernennung zum außerordentlichen Professor und der vom Kultusminister verfügten Auflösung des nationalsozialistischen Allgemeinen Studentenausschusses bei den „Gumbelkrawallen“ zu einer studentischen Besetzung und polizeilichen Räumung der Universität.

Als Emil Gumbel auf einer internen Sitzung der Heidelberger Sozialistischen Studentenschaft in Erinnerung an die Hungertoten des Kohlrübenwinters 1916/17 davon sprach, dass eine Kohlrübe sich besser als Kriegerdenkmal eigne als eine leichtbekleidete Jungfrau, entzog ihm am 6. August 1932 der Kultusminister Eugen Baumgartner (Zentrumspartei) die Lehrberechtigungen.[6] Im Juni 1932 gehörte Emil Gumbel zu den Unterzeichnern des Dringenden Appells des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes.

Zur Zeit der NS-Machtübernahme im Januar 1933 war Gumbel schon in Paris, wo er seit Juli 1932 Gastvorlesungen an der Sorbonne hielt. Während in Heidelberg seine Wohnung geplündert und seine Schriften verbrannt wurden, engagierte er sich von Frankreich aus publizistisch gegen den Nationalsozialismus in Deutschland und unterstützte aus Deutschland nachkommende Emigranten.

Im August 1933 wurde ihm im Rahmen der Ersten Ausbürgerungsliste des Deutschen Reichs die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt.[7] 1934 siedelte er nach Lyon über und arbeitete an der Universität. 1939 erhielten er und seine Familie die französische Staatsbürgerschaft.[5]"

Zu seinem großen Thema wurden die zahlreichen politischen Morde

in den Wirren der Nachkriegszeit seit der Novemberrevolution. Als Statistiker ließ Emil Gumbel dabei die Zahlen für sich sprechen. In zwei Publikationen wies er nach, dass die Zahl der Morde aus dem rechten Spektrum deutlich überwog – so konnte er aufzeigen, dass im Zeitraum 1919 bis 1922 von 376 politisch motivierten Morden 354 dem rechten Spektrum zuzuordnen waren, lediglich 22 dem linken.[6]

Die Einäugigkeit der Justiz in der Weimarer Republik, die er aufzeigte, war dabei frappierend: Die Mörder aus dem linken Lager wurden mit äußerster Strenge behandelt, es kam zu zehn Hinrichtungen auf 22 Morde.

Mörder aus dem rechten Lager wurden dagegen mit großer Nachsicht behandelt: Bei 354 Morden kam es zu einer einzigen lebenslangen Strafe, keiner einzigen Hinrichtung und insgesamt 90 Jahren Haft – im Durchschnitt vier Monate Haft pro Mord.

Viele Morde von rechts blieben dabei gänzlich ungesühnt. Seine Publikationen erreichten ziemlich hohe Auflagen und führten sogar zu einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Preußischen Landtag, nachdem die Ergebnisse von Emil Gumbels Buch Vier Jahre politischer Mord in einer vom Reichsjustizminister Gustav Radbruch in Auftrag gegebenen Studie bestätigt wurden."

Vier Jahre politischer Mord: https://www.gutenberg.org/files/39667/39667-h/39667-h.htm INHALT und einige Auszüge:

VIER JAHRE MORD - eine grausliche Zusammenstellung

  • Die Morde bis zum März 1919 … 9
  • Von der Ermordung Eisners bis zum Sturz der bayrischen Räterepublik … 27
  • Die Ermordungen beim Kapp-Putsch … 51
  • Individuelle Morde… 64
  • Nicht aufgenommene Tötungen … 82
  • ZUR SOZIOLOGIE DER POLITISCHEN MORDE
  • Das Werden der deutschen öffentlichen Meinung … 87
  • Bayrische Räterepublik und Kapp-Putsch … 95
  • Die Rechtsnatur der bayrischen Standgerichte und das Schicksal der Hinterbliebenen … 108
  • Regierungsäußerungen zu den politischen Morden… 118
  • Die Organisation der politischen Morde … 124
  • Die öffentliche Meinung und die Morde … 142
  • TABELLEN
  • 161 von den Regierungstruppen in München Ermordete … 43 (die juristisch zugeordneten Morde)
  • Die von Rechts begangenen politischen Morde … 73
  • Die von Links begangenen politischen Morde … 79
  • Die Formen der politischen Morde … 81
  • Die Sühne der politischen Morde … 81
  • Kapp-Regierung und bayrische Räteregierung … 99
  • Die strafgerichtliche Behandlung des Kapp-Putsches … 100
  • Das Schicksal von 775 Kapp-Offizieren … 101
  • Militärs der Kapp Regierung und der bayrischen Räteregierung … 102
  • Kappisten und Räterepublikaner in der Provinz … 105

S. 32: Kämpfe um München

"Die Zahl der Todesopfer der Kämpfe beträgt nach dieser Zusammenstellung 557. Davon fielen kämpfend 38 Mann der Regierungstruppen, 93 Angehörige der Roten Armee, 7 Russen und 7 Zivilpersonen. Standrechtlich erschossen wurden 42 Angehörige der Roten Armee und 144 Zivilpersonen. Bei 42 Toten konnte weder der Name, noch die Art des Todes festgestellt werden. Vermutlich befinden sich unter diesen 42 unbekannten Personen 18 Russen.

»Tödlich »verunglückt« bei den Kämpfen sind 184 Zivilpersonen, und zwar am 30. April 1, 1. Mai 36, 2. Mai 103, 3. Mai 16, 4. Mai 7, 6. Mai 21«. (»Münchener Neueste Nachrichten«, 10. Juni 1919.)

Den 38 Gefallenen der Regierung Hoffmann stehen also offiziell 107 Gefallene der Roten Armee, 186 standrechtlich Erschossene und 184 »tödlich verunglückte« Anhänger der Räteregierung entgegen. Diese Angaben beziehen sich aber nur auf den Stadtbezirk München. So fehlen z. B. die oben erwähnten, in der Umgebung von München von den Regierungstruppen Erschossenen. Ferner sind natürlich alle Fälle nicht aufgeführt, wo Leute spurlos verschwanden und die Leichen nicht eingeliefert wurden, z. B. der siebzehnjährige Johann Erb am 2. Mai. Die Zahl der Toten ist nach sozialistischen Angaben ungefähr tausend, eine Zahl, die nach Mitteilung beteiligter Soldaten des Generalkommandos Oven durchaus glaubhaft erscheint.

Die 184 »tödlich Verunglückten« wird man als Opfer politischer Morde betrachten müssen. Dies geht aus der oben zitierten amtlichen Zusammenstellung selbst hervor. Denn in den letztgenannten [32] 21 Fällen läßt sich die Technik des tödlichen Unglücksfalles genau nachweisen. Am 6. wurden nämlich die 21 katholischen Gesellen ermordet. (Vgl. Seite 41.) Außerdem bin ich in der Lage, weitere 140 in München in den Maitagen Ermordete namentlich aufzuführen. Wenn man also nicht annehmen will, daß der Regierungsbericht diese 140 Fälle vollkommen verschweigt oder den Tatsachen zuwider sie in eine der beiden andern Kategorien unterbringt und Fälle aus diesen Kategorien verschweigt, so ist man zu dem Schluß gezwungen, daß die 184 tödlich Verunglückten tatsächlich ermordet worden sind. Im folgenden einige Einzelfälle." …

Zur Kriegsschuld

Die Auffassung aber, wonach Deutschland während langer Jahre nur davon geträumt habe, über die übrige, »demokratisch und friedlich gesinnte Welt« herzufallen, um sie zu erobern, ist falsch. Will man von einer deutschen Schuld sprechen, so müßte man folgende drei Gesichtspunkte unterscheiden: (a) Die Schuld des herrschenden Wirtschaftssystems überhaupt, das den Krieg und seine Vorbereitung zu einem für gewisse besitzende Klassen lohnenden Geschäft macht. Der Anteil Deutschlands hieran bestand z. B. in dem Ausbau des Dumping-Systems, der unsinnigen Marokko-Politik usw.; (b) die Schuld der deutschen Diplomaten, die im unbedingten Glauben an Blut und Eisen in den Julitagen von 1914 alle friedlichen Mittel solange verwarfen, bis sie den Krieg unvermeidbar gemacht haben; © eine Schuld des ganzen deutschen Volkes, das den Krieg als etwas Herrliches, Begeisterungswürdiges empfand.

Wenn ganz Deutschland den Krieg ursprünglich unbedingt bejahte, so darf man auch hierin nicht einen Beweis des militärischen [89] Eroberungswillens sehen. Der Glauben, von Rußland überfallen zu sein und die Meinung, tatsächlich die europäische Kultur gegen die Barbarei verteidigen zu müssen, war allgemein verbreitet. Der Krieg gegen Frankreich wurde mit der bekannten Lüge der Fliegerbombe von Nürnberg begründet, die allgemein geglaubt wurde. Der Ueberfall auf Belgien schien nur die berechtigte Abwehr gegenüber einem angeblichen früheren Einmarsch der Franzosen.

Die Lügentechnik der Presse

Die unorganisierte Verbreitung von Lügen wich bald einer systematischen Irreführung der öffentlichen Meinung.

Die Mittel hierzu waren Zensur, Belagerungszustand und Schutzhaft. Offiziell erstreckte sich die Zensur nur auf militärische Angelegenheiten. Daher hat man alles Politische als militärisch betrachtet. Beinahe täglich wurden den Redaktionen Richtlinien, Befehle oder Verbote zugesandt. Mehrmals wöchentlich wurde eine »Pressekonferenz« gehalten, um die »richtigen« Nachrichten zu lancieren und um zu verhindern, daß sich eine selbständige öffentliche Meinung bildete. Der Sinn der Anweisungen war stets: »So und so verhält es sich, aber so und so wünschen wir es dargestellt« (manchmal hieß es sogar wörtlich so). Sorgfältig wurde verhüllt, daß es überhaupt eine Zensur gebe. Hierzu diente auch das Verbot, von der Zensur gestrichene Stellen weiß zu lassen, was in allen anderen Ländern erlaubt war. Wurden im Reichstag Uebergriffe von Zensoren erörtert, so strich der betreffende Zensor in lokalen Berichten die ganzen Mitteilungen darüber (Reichstag 30. Mai 1916). Jahrelang hat man jede Theateraufführung, jede wissenschaftliche und künstlerische Bemerkung, jede Annonce, ja jedes Witzblatt sorgfältig darauf geprüft, wie sie auf die Stimmung des Volkes wirken. Jahrelang hat man verboten, gewisse unliebsame Ereignisse und die Namen gewisser unbeliebter Persönlichkeiten überhaupt nur zu erwähnen, sodaß das Volk nicht einmal erfuhr, daß es Menschen gab, die protestierten. Umgekehrt hat man gewisse Halbgötter für sakrosankt erklärt. Die oberste Heeresleitung, eine durch und durch politische Organisation, durfte nicht in den Bereich der Diskussion gezogen werden.

Auch über die Meinungen der Presse wurde das Volk völlig irregeführt. Man zwang die gesamte Presse, Regierungsmeinungen als redaktionelle Aeußerungen einzusetzen, ohne daß die Presse die Möglichkeit irgend welcher Kritik hatte.

Beim Ueberschreiten auch nur einer der vielen Zensurbestimmungen drohte den Zeitungen Verbot auf Tage, Wochen oder bis zum Kriegsende, den Redakteuren die schärfsten Strafen. (Reichstag, 28. Oktober 1916.) War ein Blatt mit all diesen Mitteln noch nicht klein zu kriegen, so kam es unter Vorzensur. Die Zensurbeschwerden mit allem, was dazu gehört, wie Belagerungszustand und Schutzhaft, füllen Tausende von Seiten der Reichstagsberichte. [90] Zur Zensur kamen dann noch die vielen kleinen Mittel, die der Regierung zur Verfügung stehen. Regierungstreue Organe wurden bei der Papierverteilung besonders berücksichtigt, die Redakteure der oppositionellen Blätter eingezogen. Neue oppositionelle Blätter durften nicht erscheinen. Man gründete Korrespondenzen, die umsonst abgedruckt werden durften (z. B. deutsche Kriegsnachrichten) und hatte so eine regierungstreue Provinzpresse. Die Knebelung der öffentlichen Meinung

Abgesehen von der Presse hat man zur vaterländischen Lügenpropaganda das Theater, das Kino, das Plakat, das Trambahnbillett, die Zündholzschachtel, selbst das Abortpapier herangezogen. Mit allen Mitteln wurde die öffentliche Meinung unterdrückt.

Durch Schreibverbot, Schutzhaft, Einziehung zum Militär und Hilfsdienst, Redeverbot, Zwangsaufenthalt, geheime Brief- und Telephonzensur hat man unbequeme Leute mundtot gemacht. Ohne Möglichkeit einer Rechtfertigung saßen Tausende in Schutzhaft. Ein dichtes Netz von Spitzeln und Agents provocateurs umgab jedes politische Leben (Reichstag, 31. Oktober 1916). Durch Versammlungsverbote verhinderte man, daß der Volkswille manifestiert wurde. Unbeliebte Reichstagsabgeordnete durften nicht zu ihren Wählern sprechen. Gleichzeitig wurde den dadurch Betroffenen untersagt, das Verbot bekanntzugeben, sodaß es aussehen mußte, als wenn sie sich zu anderen Ansichten bekehrt hatten. Wurde eine Schrift beschlagnahmt oder eine Organisation aufgelöst, so wurde gleichzeitig jede Mitteilung hierüber verboten. Nicht nur gegen Einzelne ist man so vorgegangen, dem ganzen Elsaß-Lothringischen Landtag ist verboten worden, über die Lebensfrage des Landes zu sprechen, nämlich über seine künftige verfassungsmäßige Stellung (Reichstag, 6. und 26. Juni 1918).

Systematisch wurde die Denunziation gezüchtet. Der tapfere Leiter dieses Reichskrieges war der Polizeidirektor Henniger von der Abteilung Ia des Polizeipräsidiums. (Am 9. November entflohen, jetzt wieder im Amt.) Den Denkwilligen entzog man jedes Tatsachenmaterial. Geburt und Grab, Unglücksfälle und Verbrechen, Streiks, Volkskundgebungen, alles hat man unterschlagen. Nicht bekannt werden durfte z. B. die Zahl der im Kriege oder in der Heimat Gestorbenen, die Zahl des Geburtenrückganges, die exakten Zahlen der Ernte. Manche vollständigen Reichstagsstenogramme mußten illegal erscheinen; Mitteilungen des Gesundheitsamtes, selbst Artikel des Kriegsernährungsamtes wurden von der Zensur verboten. Auch dem Reichstag und selbst Regierungsstellen war keine Möglichkeit gegeben, sich wahrheitsgemäß zu unterrichten. So war das deutsche Volk völlig desorientiert und stand hilflos den Lügen gegenüber, die ihm Tag für Tag von der Regierung und der kriegshetzerisch feilen Presse geboten wurden. [91]

Die Revolution

Die Deutsche Republik ist, wie man weiß, nicht das Resultat des Aufstrebens der deutschen Bürger, sondern die Folge der Niederlage seiner Generale. Vor der Verantwortung retteten sie sich. Auf ihren Wunsch wurde eine neue fortschrittliche Regierung gegründet, deren Zweck nur sein sollte, sofort einen günstigen Waffenstillstand herbeizuführen. Rein militärische Gründe waren es, die zu diesem Schritt zwangen. Das deutsche Heer stand vor der größten Niederlage aller Zeiten. »Das Friedensangebot muß morgen noch herauskommen. Heute hielt die Truppe noch, was morgen ist, läßt sich nicht voraussagen«, so schreibt Ludendorff selbst. (Vorgeschichte des Waffenstillstands, Tel. Nr. 21.) Und Hindenburg telegraphiert an die Waffenstillstandskommission, wenn keine Milderungen zu erreichen sind, sind die Bedingungen anzunehmen. Ueber Nacht entstehen im Heer die Soldatenräte, die Arbeitermassen zwingen die Herrscher zur Abdankung.

Aber diese Revolution entspricht nicht dem üblichen Bild. Die wesentliche psychologische Ursache, die jahrelange Unzufriedenheit der Masse fehlte. Bis 1914 herrschte im allgemeinen Zufriedenheit. Das Standard of Life war gestiegen, das Land befand sich auf einer aufsteigenden Linie. Als die deutsche Politik Schiffbruch erlitt, folgte nicht ein Umsturz, sondern nur ein Einsturz, und da die Dynastien sich mit dem Militarismus identifiziert hatten, so schickte man sie zum Teufel.

Große Hoffnung bestand, daß dies der Ausgangspunkt einer demokratischen Entwicklung werden könne, daß ein Erwachen aus dem Bann der Lügen stattfinden würde.


…. Die Republik ist unerhört demokratisch — gegen ihre Feinde. Während die Hohenzollern 1866 nicht daran dachten, dem von ihnen gestürzten König und den Fürsten einen Pfennig Entschädigung zu zahlen und sie sogar ohne weiteres ihres Landes verwiesen, hat die Republik den Hohenzollern ihr ganzes Eigentum gelassen. Ja, auch wo es strittig war, ob es sich um Staatsgut oder Privatgut der Hohenzollern handelte, hat man ihnen nicht einen Pfennig genommen. Im Gegenteil, Jahr um Jahr schickte der gute deutsche Steuerzahler Millionen nach Amerongen, damit sein Kaiser in der Verbannung würdig lebe und damit ihm nicht die Möglichkeit genommen sei, die Kräfte zu sammeln, um die Republik zu stürzen. Kein einziger Thronprätendent ist des Landes verwiesen worden. Die Behörden haben die Bezeichnung »Königlich« und »Kaiserlich« nur zum Teil gestrichen. Z. B. steht selbst in dem Haus, wo der württembergische Staatspräsident wohnt, noch unangefochten ein Schild, wonach dieses Haus das »Königliche Ministerium des Aeußeren« sei. Auch die Berliner Akademie der Wissenschaften nennt sich noch immer königlich.

Um diese Mentalität zu verstehen, muß man folgendes beachten.

Tatsachen und Ueberzeugungen

Es ist sehr selten, daß die Menschen sich durch die Tatsachen wirklich überzeugen lassen. Meistens ziehen sie vor, besonders, wenn wie hier, die mächtigen mit dem Militär verschwägerten Interessen [93] des Großkapitals hinter der Bildung der öffentlichen Meinung durch die Zeitung stehen, aus der rauhen Wirklichkeit ins süße Reich der Märchen zu flüchten. Denn es ist bitter, langjährige Ueberzeugungen zu opfern. Daher wird zur Erhaltung des Prestiges noch heute geleugnet, daß Deutschlands Militärmacht an der vereinigten Militärmacht der ganzen Welt gescheitert ist. Vielmehr: »die Heimat hat die Front von hinten erdolcht«, sozusagen, das Volk hat die Generale verraten. Damit ist die nationale Eitelkeit der Unüberwindbarkeit gerettet, die ganze Politik der letzten 50 Jahre gerechtfertigt. Endlich ist ein Prügelknabe gefunden; die Zurückgebliebenen, die Drückeberger, die Juden sind an allem Schuld.

Daß von Regierungsseite das Volk nicht aufgeklärt wurde, liegt daran, daß die Regierung in ihrem zum Teil von ihr provozierten Kampf gegen die bolschewistische Linke die rechtsstehenden »Ordnungsleute«, auf die sie sich stützte, nicht allzusehr verschnupfen wollte. In ihrer Machtlosigkeit und verhängnisvollen Kurzsichtigkeit hat die Regierung sogar die Möglichkeit eines Militärputsches geleugnet, ihre eigenen Gegner bewaffnet, die Arbeiterschaft, auf die sie sich stützen konnte, entwaffnet. Der Kapp-Putsch scheiterte nicht etwa an der Abwehr der besitzenden und intellektuellen Klassen — diese haben im Gegenteil ihn jubelnd begrüßt — vielmehr an der entschlossenen Abwehr des Proletariats und an seiner mangelhaften politischen und technischen Ausbildung.

Die wirtschaftlichen Ursachen dieser psychischen Einstellung liegen auf der Hand. Das deutsche Bürgertum hat eine Zeitlang, ob mit Recht oder Unrecht spielt keine Rolle, die heute herrschende Wirtschaftsordnung, auf der seine Existenz beruht, für bedroht gehalten. In dieser Situation pflegt eine herrschende Klasse stets rücksichtslos ihre Prinzipien über Bord zu werfen, soweit sie sie in ihrem Kampfe hindern, nur um ihre Existenz zu retten. Auch die dritte französische Republik hat zu ihrem Beginn im Kampfe gegen den Kommunismus nach rein militaristischen Motiven gehandelt. Der Sturz der Kommune hat Tausenden das Leben gekostet, die Kommune selbst nur wenigen. Aehnlich schrecken die herrschenden Klassen Deutschlands wegen des ihrer Meinung nach noch immer drohenden Bürgerkriegs vor keiner Verletzung der demokratischen Prinzipien, ihrer eignen Grundlage zurück.

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