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die_bayrische_raeterepublik

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die_bayrische_raeterepublik [2025/08/24 03:59]
selbstorg [Ein Befehl des General v. Oven]
die_bayrische_raeterepublik [2025/08/24 21:11] (aktuell)
selbstorg [Geschichte der Geheimorganisationen]
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 Demnach [108]sind gegen die Anhänger der bayrischen Räterepublik Strafen von insgesamt 616 Jahren Einsperrung verhängt worden. Gegen die Anhänger des Kapp-Putsches 5 Jahre Einsperrung. Dabei ist noch zu beachten, daß die bayrischen Zahlen unvollständig, die Kapp-Zahlen vollständig sind. Demnach [108]sind gegen die Anhänger der bayrischen Räterepublik Strafen von insgesamt 616 Jahren Einsperrung verhängt worden. Gegen die Anhänger des Kapp-Putsches 5 Jahre Einsperrung. Dabei ist noch zu beachten, daß die bayrischen Zahlen unvollständig, die Kapp-Zahlen vollständig sind.
  
-===== DIE RECHTSNATUR DER BAYRISCHEN STANDGERICHTE UND DAS SCHICKSAL DER HINTERBLIEBENEN =====+==== DIE RECHTSNATUR DER BAYRISCHEN STANDGERICHTE UND DAS SCHICKSAL DER HINTERBLIEBENEN ====
  
 Nach der Einnahme von München durch die Regierungstruppen am 1. Mai 1919 setzten sie »Standgerichte« genannte, wilde Feldgerichte ein, bei denen irgend ein Leutnant oder sonst jemand in der Weise Gericht spielte, daß er die Erschießung einfach anordnete. Sogar Unteroffiziere waren so Richter über Leben und Tod. Die Gerichte tagten in irgend einer Schenke ohne Anwendung irgend eines Gesetzbuchs. Akten wurden nicht geführt. In wenigen Minuten wurde das »Urteil« gefällt und an irgend einer Wand durch Erschießen vollstreckt. Nach der Einnahme von München durch die Regierungstruppen am 1. Mai 1919 setzten sie »Standgerichte« genannte, wilde Feldgerichte ein, bei denen irgend ein Leutnant oder sonst jemand in der Weise Gericht spielte, daß er die Erschießung einfach anordnete. Sogar Unteroffiziere waren so Richter über Leben und Tod. Die Gerichte tagten in irgend einer Schenke ohne Anwendung irgend eines Gesetzbuchs. Akten wurden nicht geführt. In wenigen Minuten wurde das »Urteil« gefällt und an irgend einer Wand durch Erschießen vollstreckt.
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 Generalmajor Haas, Oberbefehlshaber der Gruppe West, hatte unter juristischem Beistand durch den späteren bayrischen Justizminister Dr. Roth am 1. Mai folgenden Tagesbefehl erlassen: Generalmajor Haas, Oberbefehlshaber der Gruppe West, hatte unter juristischem Beistand durch den späteren bayrischen Justizminister Dr. Roth am 1. Mai folgenden Tagesbefehl erlassen:
  
-I. a 628. +I. a 628. 
 Zur Klärung der Befugnisse der Truppen gegenüber der Bevölkerung wird bekannt gegeben: Zur Klärung der Befugnisse der Truppen gegenüber der Bevölkerung wird bekannt gegeben:
  
-1. Wer den Regierungstruppen mit Waffen in der Hand gegenübertritt, wird ohne weiteres erschossen.+  * 1. Wer den Regierungstruppen mit Waffen in der Hand gegenübertritt, wird ohne weiteres erschossen
 +  * 2. Für Gefangene, die sonst während des Kampfes gemacht werden und nicht unter Ziffer 1 fallen, hat der Gruppenkommandeur wie im Felde Feldgerichte zu bilden, die über die standgerichtliche Erschießung zu befehlen haben. Das Urteil ist sofort zu vollstrecken unter Aufnahme einer Niederschrift. 
 +  * 3. In allen übrigen Fällen und wenn in Fall 2 nicht auf Erschießung erkannt ist, ist Ueberweisung der Festgenommenen an das standrechtliche Gericht nötig. 
 +gez. Haas.
  
-2Für Gefangene, die sonst während des Kampfes gemacht werden und nicht unter Ziffer 1 fallen, hat der Gruppenkommandeur wie im Felde Feldgerichte zu bilden, die über die standgerichtliche Erschießung zu befehlen haben.+Auf Grund dieses Tagesbefehls wurde am 3Mai der Angestellte am städtischen Schlacht- und Viehhof Josef Boesl (20 Jahre alt) nach einem »standgerichtlichen« Verfahren wegen angeblicher Teilnahme an den Kämpfen in München mit sechs anderen Personen in der Kapuzinerstraße erschossen
  
-Das Urteil ist sofort zu vollstrecken unter Aufnahme einer Niederschrift. +Das gegen den Generalmajor eingeleitete kriegsgerichtliche Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung wurde durch Verfügung des Gerichtsherrn des WürttgGerichts der 27DivisionAbtIII, vom 16März 1920 eingestellt.
- +
-3In allen übrigen Fällen und wenn in Fall 2 nicht auf Erschießung erkannt istist Ueberweisung der Festgenommenen an das standrechtliche Gericht nötig. +
- +
-gezHaas.+
  
-Auf Grund dieses Tagesbefehls wurde am 3Mai der Angestellte am städtischen Schlacht- und Viehhof Josef Boesl (20 Jahre alt) nach einem »standgerichtlichen« Verfahren wegen angeblicher Teilnahme an den Kämpfen in München mit sechs anderen Personen in der Kapuzinerstraße erschossen. Das gegen den Generalmajor eingeleitete kriegsgerichtliche Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung wurde durch Verfügung des Gerichtsherrn des Württg. Gerichts der 27. Division, Abt. III, vom 16. März 1920 eingestellt.+In der Begründung heißt es: »Dieser Befehl wurde von Generalmajor Haas, dessen Stabschef Major Seiser und von Hauptmann dR. Roth, Bezirkshauptmann bei der Polizeidirektion in München als juristischem Berater entworfenberaten und gutgeheißen und vom Kommandeur verantwortlich gezeichnet
  
-In der Begründung heißt es: »Dieser Befehl wurde von Generalmajor Haas, dessen Stabschef Major Seiser und von Hauptmann d. R. Roth, Bezirkshauptmann bei der Polizeidirektion in München als juristischem Berater entworfen, beraten und gutgeheißen und vom Kommandeur verantwortlich gezeichnet. In seiner Ziffer 2 hatte dieser Befehl keine Stütze in den bestehenden Gesetzen« ... »Der Kampf der alten Regierung gegen die Räteregierung war ein Bürgerkrieg. Im Nationalitätenkrieg gelten geschriebene und ungeschriebene Gesetze, den Bürgerkrieg dagegen charakterisiert eine gewisse Gesetzlosigkeit.....+In seiner Ziffer 2 hatte dieser Befehl keine Stütze in den bestehenden Gesetzen« ... »Der Kampf der alten Regierung gegen die Räteregierung war ein Bürgerkrieg. Im Nationalitätenkrieg gelten geschriebene und ungeschriebene Gesetze, den Bürgerkrieg dagegen charakterisiert eine gewisse Gesetzlosigkeit.....
  
 Jedenfalls befanden und fühlten sich die Regierungstruppen gegenüber den Rätetruppen in einem fortdauernden Zustand der Notwehr, auf Grund dessen schließlich jede Tat eine Entschuldigung hätte finden können.  Jedenfalls befanden und fühlten sich die Regierungstruppen gegenüber den Rätetruppen in einem fortdauernden Zustand der Notwehr, auf Grund dessen schließlich jede Tat eine Entschuldigung hätte finden können. 
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 Der Vater des Erschossenen wandte sich am 3. Juli 1919 mit einer Eingabe an das Generalkommando Oven. Dieses teilte ihm am 11. Juli 1919 mit, daß die Eingabe dem bayrischen Ministerium für militärische Angelegenheiten zur Begutachtung weitergeleitet wurde.  Der Vater des Erschossenen wandte sich am 3. Juli 1919 mit einer Eingabe an das Generalkommando Oven. Dieses teilte ihm am 11. Juli 1919 mit, daß die Eingabe dem bayrischen Ministerium für militärische Angelegenheiten zur Begutachtung weitergeleitet wurde. 
  
-Das Abwicklungsamt des früheren bayrischen Ministeriums für militärische Angelegenheiten teilte am 18. Oktober 1919 auf Anfrage des Vaters mit, daß die Erhebungen betreffend der Erschießung seines Sohnes Josef Boesl noch nicht zum Abschluß gebracht seien. Am 6. Dezember 1919 wurde von der gleichen Stelle mitgeteilt, daß sein Sohn von einem Standgericht des 1. Württg. Freiwilligen-Regts. wegen Beteiligung am Kampfe gegen die Regierungstruppen zum Tode verurteilt worden sei und daß das Urteil von diesem Regiment vollstreckt wurde. Seine Gesuche seien daher an das Abwicklungsamt Württemberg abgegeben worden. +Das Abwicklungsamt des früheren bayrischen Ministeriums für militärische Angelegenheiten teilte am 18. Oktober 1919 auf Anfrage des Vaters mit, daß die Erhebungen betreffend der Erschießung seines Sohnes Josef Boesl noch nicht zum Abschluß gebracht seien.  
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 +Am 6. Dezember 1919 wurde von der gleichen Stelle mitgeteilt, daß sein Sohn von einem Standgericht des 1. Württg. Freiwilligen-Regts. wegen Beteiligung am Kampfe gegen die Regierungstruppen zum Tode verurteilt worden sei und daß das Urteil von diesem Regiment vollstreckt wurde. Seine Gesuche seien daher an das Abwicklungsamt Württemberg abgegeben worden. 
  
 Das Kriegsministerium Stuttgart teilte mit Postkarte vom 10. Dezember 1919 mit, daß das Schreiben des Vaters vom 6. Dezember 1919 dem Wehrkreiskommando übergeben worden sei. Das Wehrkreiskommando teilte unterm 17. Dezember 1919 mit, das Schreiben sei dem Gericht der früheren 27. Division in Ulm zur zuständigen Verfügung übergeben worden. Eine Eingabe des Vaters an den Reichswehrminister vom 22. Mai 1920 wurde an das Heeresabwicklungsamt Preußen, Verpflegungsabteilung abgegeben, das dem Vater sachliche Belehrung erteilte. Das Kriegsministerium Stuttgart teilte mit Postkarte vom 10. Dezember 1919 mit, daß das Schreiben des Vaters vom 6. Dezember 1919 dem Wehrkreiskommando übergeben worden sei. Das Wehrkreiskommando teilte unterm 17. Dezember 1919 mit, das Schreiben sei dem Gericht der früheren 27. Division in Ulm zur zuständigen Verfügung übergeben worden. Eine Eingabe des Vaters an den Reichswehrminister vom 22. Mai 1920 wurde an das Heeresabwicklungsamt Preußen, Verpflegungsabteilung abgegeben, das dem Vater sachliche Belehrung erteilte.
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 »Eine Rechtsverpflichtung der Heeresverwaltung [111] zum Schadenersatz liegt nicht vor. Das Heeresabwicklungsamt Württemberg bedauert, dem dortigen Gesuch nicht entsprechen zu können. Eine Wiederholung des Gesuches wäre zwecklos; die Auflösung der Abwicklungsstellen des alten Heeres ist außerdem zum 31. Dezember d. Js. angeordnet.« »Eine Rechtsverpflichtung der Heeresverwaltung [111] zum Schadenersatz liegt nicht vor. Das Heeresabwicklungsamt Württemberg bedauert, dem dortigen Gesuch nicht entsprechen zu können. Eine Wiederholung des Gesuches wäre zwecklos; die Auflösung der Abwicklungsstellen des alten Heeres ist außerdem zum 31. Dezember d. Js. angeordnet.«
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 Diese Behandlung der Hinterbliebenen ist typisch für die ganzen Münchener Fälle. Diese Behandlung der Hinterbliebenen ist typisch für die ganzen Münchener Fälle.
  
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 Die in erster Instanz zuerkannte Rente wurde vom Reichswirtschaftsgericht nach ständiger Praxis gestrichen. Klage zum ordentlichen Gerichte ist anhängig. Die in erster Instanz zuerkannte Rente wurde vom Reichswirtschaftsgericht nach ständiger Praxis gestrichen. Klage zum ordentlichen Gerichte ist anhängig.
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 Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren gegen Unbekannt eingestellt. Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren gegen Unbekannt eingestellt.
  
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 **Freikorps Lützow O. U., München, den 7. Mai 1919.** III Br. B. Nr. 0595 Abschrift von Abschrift. **Freikorps Lützow O. U., München, den 7. Mai 1919.** III Br. B. Nr. 0595 Abschrift von Abschrift.
  
-**Generalkommando v. Oven.+**Generalkommando v. Oven.**
 Ia/119/V/19 K. H. Qu. den 5. Mai 1919. Ia/119/V/19 K. H. Qu. den 5. Mai 1919.
  
 **Betr. Verfahren gegen die Bevölkerung** **Betr. Verfahren gegen die Bevölkerung**
-  1. Wer mit der Waffe in der Hand betroffen wird, wird auf der Stelle erschossen. +  1. Wer mit der Waffe in der Hand betroffen wird, wird auf der Stelle erschossen. 
-  2. Wer festgenommen ist, kann nur noch gerichtlich abgeurteilt werden; zuständig ist das standrechtliche Gericht. +  2. Wer festgenommen ist, kann nur noch gerichtlich abgeurteilt werden; zuständig ist das standrechtliche Gericht. 
-  3. Das standrechtliche Gericht wird seinen Sitz im Gebäude des Amtsgerichts haben. +  3. Das standrechtliche Gericht wird seinen Sitz im Gebäude des Amtsgerichts haben. 
-  4. Jedes andere Verfahren gegen Festgenommene ist unzulässig, insbesondere die Aburteilung durch militärische Feldgerichte. Wo derartige militärische Feldgerichte gebildet sind, sind sie sofort aufzuheben; etwa von ihnen gefällte Urteile dürfen nicht vollstreckt werden; mit dem Beschuldigten ist nach Ziffer 2 zu verfahren. [112] +  4. Jedes andere Verfahren gegen Festgenommene ist unzulässig, insbesondere die Aburteilung durch militärische Feldgerichte. Wo derartige militärische Feldgerichte gebildet sind, sind sie sofort aufzuheben; etwa von ihnen gefällte Urteile dürfen nicht vollstreckt werden; mit dem Beschuldigten ist nach Ziffer 2 zu verfahren. [112] 
-  5. Die bisher von den Truppen festgenommenen Personen, die sich noch im militärischen Gewahrsam befinden, sind von den Truppenteilen in Listen aufzunehmen. Diese Liste mit den beizulegenden Tatberichten sind der Stadtkommandantur zu übersenden.+  5. Die bisher von den Truppen festgenommenen Personen, die sich noch im militärischen Gewahrsam befinden, sind von den Truppenteilen in Listen aufzunehmen. Diese Liste mit den beizulegenden Tatberichten sind der Stadtkommandantur zu übersenden.
  
   * gez. v. Oven, Generalleutnant. F. d. R. -V. s. d. G. K. - D. Ch. d. G. St.    * gez. v. Oven, Generalleutnant. F. d. R. -V. s. d. G. K. - D. Ch. d. G. St. 
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   * Zusatz des Freikorps. Sofort.   * Zusatz des Freikorps. Sofort.
   * Vorstehende Bestimmungen sind den Mannschaften eingehend bekannt zu geben. A. B. gez. Körner, Rittmeister.   * Vorstehende Bestimmungen sind den Mannschaften eingehend bekannt zu geben. A. B. gez. Körner, Rittmeister.
-  * +
 Trotz dieses Befehls sind »standrechtliche« Erschießungen noch am 7., »tödliche Unglücksfälle« noch am 8. Mai vorgekommen. Trotz dieses Befehls sind »standrechtliche« Erschießungen noch am 7., »tödliche Unglücksfälle« noch am 8. Mai vorgekommen.
 ===== Die Rechtswidrigkeit der bayrischen standrechtlichen Erschießungen ===== ===== Die Rechtswidrigkeit der bayrischen standrechtlichen Erschießungen =====
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 Eine weitere Komplikation ergab sich daraus, daß es zweifelhaft war, welchen Fiskus die Haftung nach Aufhebung des bayrischen Militärfiskus und Organisation der Reichswehr eigentlich zu treffen habe, da die fraglichen Staatsverträge sich wohlweislich über diesen Punkt ausschwiegen.  Eine weitere Komplikation ergab sich daraus, daß es zweifelhaft war, welchen Fiskus die Haftung nach Aufhebung des bayrischen Militärfiskus und Organisation der Reichswehr eigentlich zu treffen habe, da die fraglichen Staatsverträge sich wohlweislich über diesen Punkt ausschwiegen. 
-====== aus: VIER JAHRE MORD - eine grausliche Zusammenstellung ====== +==== aus: VIER JAHRE MORD - eine grausliche Zusammenstellung ==== 
-deshalb hier nur eine Zusammenstellung von Auszügen, bei guten Nerven m Original zu lesen ...+deshalb hier nur eine Zusammenstellung von Auszügen, bei guten Nerven m Original zu lesen ... Anfang auf [[Emil Gumbel]]
  
     Die Morde bis zum März 1919 … 9     Die Morde bis zum März 1919 … 9
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     Die öffentliche Meinung und die Morde … 142     Die öffentliche Meinung und die Morde … 142
  
 +=====  Die Auffassung des Reichswirtschaftsgerichts =====
 +
 +In Hinblick auf diese Schwierigkeiten suchen nun die betreffenden Hinterbliebenen sich dadurch zu helfen, daß sie sich wegen Entschädigung an die nach dem Reichsgesetz über die durch innere Unruhen verursachten Schäden vom 12. Mai 1920 vorgesehenen Feststellungsausschüsse wenden. (§ 6 des Reichsaufruhrschädenges.)
 +
 +Gemäß § 1 dieses Gesetzes bestehen Ersatzansprüche gegen das Reich wegen der Schäden an beweglichem und unbeweglichem Eigentum sowie an Leib und Leben, die im Zusammenhange mit inneren Unruhen durch offene Gewalt oder durch ihre Abwehr unmittelbar verursacht wurden. 
 +
 +Auf Grund dieser Bestimmung haben die drei Münchener Ausschüsse zur Feststellung von Aufruhrschäden einer großen Anzahl von Hinterbliebenen die nach dem Aufruhrgesetz zuständigen Renten zuerkannt. Diese sämtlichen Bescheide sind auf Beschwerde der Fiskusvertreter von dem nach § 7 des Aufruhrschadengesetzes als Beschwerdeinstanz zuständigen Reichswirtschaftsgericht unter Abweisung der Schadenersatzansprüche aufgehoben worden. 
 +
 +Die dürftigen Begründungen besagten, daß die Erschießung keine offene Gewalt im Sinne des § 1 sei, weil die Täter wenigstens amtliche Befugnisse wahrzunehmen glaubten und keine durch Abwehr offener Gewalt unmittelbar verursachten Schäden, weil durch die Verhaftung der Erschossenen der Kausalzusammenhang nach § 1 unterbrochen sei, d. h. wie das Reichswirtschaftsgericht sich sehr gewunden ausdrückt, weil durch die Verhaftung der Erschossenen diese dem Kreise der Maßnahmen entrückt waren, welche der unmittelbaren Abwehr der von den Aufrührern geübten offenen Gewalt dienen sollten. (Vergl. Seite 36.)
 +
 +Die grundlegende Entscheidung hat das Reichswirtschaftsgericht am 24. August 1921 in der Sache der Wwe. Josefa Fichtner von Perlach und 12 Genossen unter XVII A.V. 747/21 gefällt. Seitdem ist eine große Reihe gleichartiger Entscheidungen ergangen, welche die fraglichen Ansprüche einfach schematisch abweisen. [116]
 +
 +In diesen Bescheiden weist das Reichswirtschaftsgericht regelmäßig, was der reinste Hohn ist, darauf hin, daß die Betroffenen ja die Haftung des Militärfiskus auf Grund des § 839 und der landesrechtlichen Ausführungsgesetze über die Haftung des Militärfiskus in Anspruch nehmen können, wenn sie glauben, eine Amtspflichtverletzung von Militärpersonen feststellen zu können.
 +
 +Das Resultat war in allen fraglichen Fällen bisher, daß die Hinterbliebenen der widerrechtlich Erschossenen der Armenpflege zur Last gefallen sind.
 +===== Die juristischen Grundlagen der Erschießungen »auf der Flucht« =====
 +
 +Diese Kniffe der Gerichte sind übrigens keineswegs bayrische Sonderrechte. So lehnte das Oberlandesgericht Hamm eine einstweilige Verfügung zu Gunsten der Hinterbliebenen des angeblich auf der Flucht erschossenen Max Maurer (vergl. S. 60) am 31. Oktober 1921 mit folgender Begründung ab:
 +
 +»Die Klägerinnen konnten mit ihrem Antrag nur durchdringen, wenn sie glaubhaft machten, daß den Mannschaften des Marineregiments 6 eine vorsätzliche oder fahrlässige Dienstverletzung zur Last fällt, gemäß den Bestimmungen des Preußischen Gesetzes über den Waffengebrauch des Militärs vom 20. März 1837. 
 +
 +Dieses Gesetz ist weder früher (Entscheidung des Reichsgerichts, Bd. 100, S. 28) noch seit der Revolution abgeändert oder aufgehoben worden. Nach den §§ 1 und 5 des Gesetzes ist das Militär in allen Fällen zum Waffengebrauch befugt, wenn Verhaftete, Arrestanten oder Gefangene, welche ihnen zur Bewachung anvertraut sind, zu entspringen oder beim Transporte zu entfliehen suchen. 
 +
 +Im § 10 des Gesetzes heißt es: »Daß beim Gebrauch der Waffen das Militär innerhalb der Schranken seiner Befugnisse gehandelt habe, wird vermutet, bis das Gegenteil erwiesen ist.« Diese Vermutung gilt, wie mit dem Reichsgericht anzunehmen ist, als Beweisregel des militärischen Rechtes, solange, bis sie durch den Nachweis des Gegenteils entkräftet ist. 
 +
 +Der Behauptung des Beklagten gegenüber, daß der Ehemann und der Vater der Klägerinnen bei seinem Abtransport nach Gladbeck in der Nähe von Bottrop einen Fluchtversuch gemacht habe und dabei erschossen worden sei, war also von den Klägerinnen glaubhaft zu machen, daß ihr Ehemann und Vater ohne einen Fluchtversuch unternommen zu haben erschossen worden sei. Dieses konnte aber nicht für glaubhaft gemacht erachtet werden. 
 +
 +Die Klägerinnen haben sich zur Glaubhaftmachung auf die Bekundung des Zeugen Sprenger bezogen, nach welcher Militärpersonen, welche Maurer festnahmen, erklärt haben, die Frau Maurer solle sich nur nicht so anstellen, der Mann komme nicht wieder. Aus dieser Aeußerung der Marinemannschaften wollen die Klägerinnen entnehmen, daß diese von vornherein die Absicht gehabt haben, ihren Ehemann und Vater ohne weiteres zu erschießen. Dadurch [117] sei, so machen die Klägerinnen geltend, die Behauptung des Beklagten, daß Maurer bei einem Fluchtversuch erschossen sei, widerlegt. Dem kann aber nicht beigetreten werden. 
 +
 +Die Erklärung der Marinemannschaft, der Mann komme nicht wieder, von der gar nicht feststeht, in welchem Sinne sie abgegeben ist, beweist allein nichts gegen die Richtigkeit dieser Behauptung. Auch die Schußverletzungen, welche die Leiche des Maurer nach dem Attest des Dr. med. Farrenkopf zu Bottrop aufwies, sprechen nicht gegen diese Behauptung des Beklagten. Außer mehreren Schüssen im Rücken hat Maurer allerdings einen Halsschuß in der Höhe des Kehlkopfes ungefähr 2 cm links von der Mittellinie erhalten. Es sei aber nicht ausgeschlossen, daß er sich auf der Flucht umgesehen und dabei diesen letzten Schuß bekommen hat. Kann hiernach die Behauptung des Beklagten, daß Maurer einen Fluchtversuch gemacht habe und hierbei erschossen worden sei, nicht für durch die Klägerin widerlegt erachtet werden, so wird diese Behauptung im Gegenteil durch die übereinstimmende Bekundung des Obermaschinisten Fuchs, des Gefreiten Gaul und des Gefreiten Kruppe bestätigt. Nach diesen Bekundungen hat auf dem Transport nach Gladbeck in der Nähe von Bottrop, als der Gefreite Gaul kurze Zeit zurückblieb, Maurer diese Gelegenheit benutzt, um über das Feld davon zu laufen. Der Gefreite Kruppe hat ihm dreimal »Halt« zugerufen und dann, da Maurer weiterlief, mit dem Gefreiten Gaul zusammen eine Reihe von Schüssen auf ihn abgegeben, bis er zusammenbrach.
 +
 +Bei dieser Sachlage konnte jedenfalls nicht für glaubhaft erachtet werden, daß den oben genannten Marinemannschaften nach den Bestimmungen des Gesetzes über den Waffengebrauch des Militärs vom 30. März 1837 eine Dienstverletzung zur Last fällt.
 +
 +Der Antrag der Klägerinnen auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung war daher zurückzuweisen. Die Kosten des Verfahrens waren nach § 91 Z.P.O. den Klägerinnen aufzuerlegen.
 +gez. Eickenbusch, gez. Frencking, Graul, Kalthoff, Gernheim.
 +(Aktenzeichen 3 U 43—210 L G Hamm.)«
 +
 +Die Begründung lautet also folgendermaßen: Wenn jemand von Soldaten erschossen wird, so ist nach dem Gesetz vom 20. März 1837 prinzipiell anzunehmen, daß die Soldaten dazu ein Recht hatten. Die Soldaten brauchen dies gar nicht zu beweisen, sondern die Hinterbliebenen müssen beweisen, daß die Soldaten bei der Erschießung ihre Befugnis überschritten haben und daß ein Fluchtversuch nicht vorgelegen hat, was natürlich so gut wie unmöglich ist. Die hier vorliegenden Beweise, die den »Fluchtversuch« widerlegen, werden nicht anerkannt. Der Ausspruch: »Ihr Mann kommt nicht wieder«, und der Schuß von vorn in den Hals beweisen nichts gegen den Fluchtversuch.
 +
 +Nach diesem Preußischen Gesetz vom 20. März 1837, das nach dem Reichsgericht zu Recht besteht, [118] ist also durch das Zeugnis der Täter der Beweis der Rechtmäßigkeit der Tötung einwandfrei erbracht. Man ist es zwar in Deutschland gewohnt, daß die Mörder strafrechtlich nicht gefaßt werden. Bisher hatten aber wenigstens einige Zivilgerichte die Objektivität, den Angehörigen der Opfer eine zivilrechtliche Entschädigung zuzubilligen. Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts wird selbst diese Möglichkeit so gut wie beseitigt.
 +
 +==== REGIERUNGSÄUSSERUNGEN ZU DEN POLITISCHEN MORDEN ====
 +
 +====Die Stellung des Reichsjustizministers ===
 +
 +Prof. Dr. Radbruch hatte in der Reichstagssitzung vom 5. Juli 1921 unter Berufung auf die Broschüre »Zwei Jahre Mord« sich für eine Bestrafung der politischen Morde eingesetzt. Als er selbst Reichsjustizminister geworden war, schrieb er dem Autor dieser Zeilen folgenden Brief:
 +
 +Der Reichsminister der Justiz
 +Nr. IV c 6900 W Berlin W 9, den 3. Dez. 1921.
 +Voßstr. 4.
 +
 +Für die auf Ihre Veranlassung durch den Verlag erfolgte Uebersendung eines Exemplars der 4. Auflage der Broschüre »Zwei Jahre Mord« danke ich verbindlichst. Schon mein Herr Amtsvorgänger hat Veranlassung genommen, mit den Justizverwaltungen von Preußen, Bayern und Mecklenburg in Verbindung zu treten. 
 +
 +Nach den Mitteilungen der genannten Justizverwaltungen war in einer Reihe der in der Broschüre angegebenen Fälle ein Verfahren noch anhängig, in anderen Fällen wurde auf Grund der Angaben der Broschüre erneut geprüft, ob sich Handhaben für ein strafrechtliches Einschreiten bieten. Ich habe meinerseits die Aufmerksamkeit der Justizverwaltungen auf den erweiterten Inhalt der neuen Auflage hingelenkt und um kurze Mitteilungen des Sachverhalts und des Gangs des Verfahrens in den einzelnen Fällen gebeten: Mitteilung der Ergebnisse an den Reichstag ist beabsichtigt.
 +
 +Auf Seite 50 der Broschüre wird zur Kennzeichnung des Verfahrens gegen Kapp darauf hingewiesen, daß sich der Reichsjustizminister Dr. Heintze in der Sitzung des Reichstags vom 27. Januar dieses Jahres wie folgt geäußert habe: »Auch wird man einer Vermögensbeschlagnahme gegen Kapp nähertreten«. 
 +
 +Demgegenüber darf ich, um Irrtümern vorzubeugen, folgendes bemerken: Der Reichsjustizminister hat sich in der Sitzung des Reichstags vom 26. Januar dieses Jahres zu den Maßnahmen geäußert, die zur Verfolgung von Kapp und Genossen ergriffen sind. Nach den stenographischen Berichten des Reichstags, 57. Sitzung, S. 2148, lautete seine Ausführung wörtlich wie folgt:
 +
 +»Gegen die Herren Kapp und die übrigen, die an der hochverräterischen Unternehmung beteiligt und strafrechtlich verfolgt sind, [119] ist Haftbefehl und Steckbrief erlassen und die Vermögensbeschlagnahme angeordnet und selbstverständlich pflichtgemäß die Maßnahmen getroffen, die zur Durchführung dieser Vermögensbeschlagnahme zu treffen sind.«
 +Dr. Radbruch.
 +
 +Demnach hat der Reichsjustizminister auf die Behauptung, daß in Deutschland in drei Jahren über 300 politische Morde von Rechts unbestraft geblieben sind, nur erwidert, eine Ministerrede sei falsch zitiert. Dieses falsche Zitat wurde natürlich in der vorliegenden Ausgabe sofort beseitigt.
 +
 +Die Kommunisten haben die Radbruch'sche Interpellation im Reichstag wieder aufgenommen. Die Abgeordneten Plettner, Hoffmann und Bartz haben am 14. September 1921 folgende kleine Anfrage Nr. 1027 an die Regierung gerichtet:
 +
 +»Herr E. J. Gumbel hat in einer Broschüre »Zwei Jahre Mord« eine Zusammenstellung der politischen Morde seit dem 9. November 1918 der Oeffentlichkeit übergeben. Herr Gumbel stellt fest, daß während dieser Zeit sich die von Rechts begangenen Mordtaten auf 314 belaufen, 26 namentlich aufgeführte Personen stehen unter dem starken Verdacht der Mordbegünstigung oder Anstiftung, 35 namentlich aufgeführte Personen stehen unter dem dringenden Verdacht der Mordausführung. 
 +
 +Herr Gumbel stellt weiter fest, daß bis heute noch kein politisches sowie militärisches Mitglied der Kappregierung bestraft wurde, wogegen allein gegen Mitglieder der bayrischen Räteregierung 519 Jahre 9 Monate Freiheitsstrafen und eine Anzahl Todesurteile vollstreckt worden sind.
 +
 +In der Reichstagssitzung vom 5. Juli 1921 hat der Abgeordnete Radbruch obengenannte Broschüre dem Herrn Justizminister überreicht mit der formellen, öffentlichen Aufforderung, den einzelnen Fällen nachzugehen und über das Ergebnis seiner Untersuchung Auskunft zu geben.
 +
 +Wir fragen an: 
 +  * Hat die Reichsregierung entsprechend der an sie gerichteten Aufforderung eine Untersuchung der in der Gumbelschen Broschüre aufgeführten Fälle veranlaßt?
 +  * Zu welchem Ergebnis hat die Untersuchung geführt?
 +  * Was gedenkt die Reichsregierung zu tun gegen die Staatsanwälte und Richter, die unter völliger Außerachtlassung jeder richterlichen Objektivität die Angeklagten freigesprochen oder das eingeleitete Verfahren eingestellt haben?«
 +
 +In der Reichstagssitzung vom 30. September 1921 hat darauf Herr Werner, Geh. Regierungsrat, Ministerialrat im Reichsjustizministerium, Kommissar der Reichsregierung, folgendes geantwortet: 
 +
 +»Die strafrechtliche Verfolgung der Vorfälle, die den Gegenstand der Broschüre »Zwei Jahre Mord« bilden, gehört nicht zur Zuständigkeit von Organen der Reichsjustizverwaltung. Der Reichsminister der Justiz hat aber Veranlassung genommen, die Aufmerksamkeit [120] der Justizverwaltungen von Preußen, Bayern und Mecklenburg auf die Broschüre zu lenken. 
 +
 +Nach den von diesen eingegangenen Mitteilungen ist in einer Reihe der in der Broschüre angegebenen Fälle ein Verfahren anhängig, in anderen Fällen wird der Inhalt durch die zuständigen Organe der Landesjustizverwaltungen einer Prüfung nach der Richtung unterworfen, ob die gemachten Angaben neue Handhaben zu einem strafrechtlichen Einschreiten bieten.«
 +
 +Darauf fragte der Abgeordnete Bartz weiter: »Ist die Regierung in der Lage, anzugeben, in welchen Fällen ein Verfahren eingeleitet worden ist?« Der Präsident Loebe aber schnitt die Diskussion ab mit den Worten: »Das Wort wird nicht weiter gewünscht, die Anfrage ist erledigt.«
 +
 +Die Regierung hat also eine Untersuchung angestellt und das Resultat ist: Sie kann nicht behaupten (was sie doch sicher gern getan hätte), daß auch nur ein einziger der vielen dargestellten Fälle unrichtig sei. Damit ist also die Richtigkeit der Behauptungen zugegeben.
 +
 +Die von Herrn Radbruch bereits am 3. Dezember 1921 angekündigte Denkschrift ist noch immer nicht erschienen. Als der Verfasser in einer Versammlung äußerte, daß diese Denkschrift nie erscheinen werde, schrieb ihm Herr Radbruch folgenden Brief:
 +
 +Der Reichsminister der Justiz.
 +Nr. IV c 1144. W.
 +Berlin W 9, den 2. Mai 1922.
 +
 +In der von dem »Bund Neues Vaterland« einberufenen öffentlichen Volksversammlung am 27. April d. Js. haben Sie Zeitungsnachrichten zufolge ausgeführt, daß ich zwar eine Denkschrift über die Fälle in Ihrer Broschüre »Zwei Jahre Mord« in Aussicht gestellt habe, daß diese Denkschrift aber niemals erscheinen werde. Demgegenüber lege ich Wert darauf, Ihnen an Hand der Akten Kenntnis von den Schritten zu geben, die ich unternommen habe, um dem Reichstag eine Darstellung des Sachverhalts und des Ganges des strafrechtlichen Verfahrens in den einzelnen Fällen zugänglich zu machen; ich würde es deshalb begrüßen, wenn ich Ihrem Besuch in der nächsten Zeit entgegensehen dürfte. Wegen des Zeitpunktes bitte ich um vorherigen telephonischen Anruf.
 + - Dr. Radbruch.
 +
 +Als der Schreiber dieser Zeilen darauf Herrn Radbruch besuchte, zeigte er ihm mit anerkennenswerter Offenheit die Vorarbeiten zu dem Weißbuch. Darin sind alle Behauptungen dieses Buches mit dürren Worten amtlich bestätigt. 
 +
 +Noch mehr: Die Wirklichkeit übertrifft die Angaben um vieles. Und gerade deswegen ist der Autor dieser Zeilen heute mehr denn je überzeugt, daß die angekündigte Denkschrift trotz der guten Absichten des Ministers nie erscheinen wird. [121]
 +==== Die unzuständigen Staatsanwälte ====
 +
 +Die Broschüre »Zwei Jahre Mord« war an sämtliche Staatsanwaltschaften Deutschlands geschickt worden, in deren Bereich Morde passiert waren. Im folgenden die Antworten:
 +
 +**Der Oberstaatsanwalt bei dem Landgericht.**
 +IX./199. Potsdam, den 28. Aug. 1921.
 +
 +Den Empfang Ihrer mir zugesandten Broschüre »Zwei Jahre Mord« bestätige ich Ihnen mit Dank.
 +
 +Insofern scheint aber bei Ihrer Zuschrift ein Irrtum obzuwalten, als Sie meine Zuständigkeit für die strafrechtliche Verfolgung »einer Reihe von Morden« annehmen. Ich habe bei der Durchsicht des Buches keinen einzigen Fall finden können, in dem durch den Ort der Tat meine Zuständigkeit in Betracht kommt. Es haben auch nach Ihrer eigenen Darstellung in allen Fällen bereits strafrechtliche Ermittlungsverfahren seitens der zuständigen Stellen stattgefunden.
 +In Vertretung: Unterschrift unleserlich.
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 +**Der Oberstaatsanwalt. Marburg, den 31. August 1921.
 +3a J 817/21**
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 +Auf Ihr am 29. August 1921 eingegangenes Schreiben unter gleichzeitiger Uebersendung der Broschüre »Zwei Jahre Mord« erhalten Sie den Bescheid, daß ich nicht in der Lage bin, wegen der darin geschilderten angeblichen Straftaten einzuschreiten, da in keinem der Fälle der Tatort im hiesigen Bezirk liegt, und auch keiner der Täter im hiesigen Bezirk seinen Wohnsitz hat.
 +I. V.: Ludwig.
 +
 +**Der Oberstaatsanwalt. Hagen i. W.**, den 19. Sept. 1921.
 +XV. 11/2227.
 +
 +Betrifft:
 +Uebersendung des Buches:
 +»Zwei Jahre Mord«.
 +
 +Von den in dem Buch geschilderten Ereignissen hat keines sich in dem mir unterstellten Bezirk abgespielt. Ich habe daher zu Maßnahmen keinen Anlaß.
 +gez. Schenk.
 +Stempel. Beglaubigt. Hoffmann, Kanzleiangestellter.
 +Verfahren schwebt
 +
 +**Der Generalstaatsanwalt. Hamm**, den 8. September 1921.
 +Geschäfts-Nr. I 350
 +1. 3771.
 +
 +Soweit die in Ihrem Buch »Zwei Jahre Mord« erwähnten Fälle sich im hiesigen Bezirke ereignet haben, schweben Ermittlungsverfahren.
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 +I. V.: gez. Dr. Wilde.
 +Stempel. begl.: Fritz, Kzl.-Inspektor. [122]
 +
 +**Der erste Staatsanwalt bei dem Mecklenburg-Schwerinschen Landgericht zu Rostock i. Meckl.**
 +Nr. J. 3334/21. 
 +Rostock, den 19. Sept. 1921.
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 +Zu Ihrer Vernehmung vom 5. 9. 1921 betr. Ihre Broschüre »Zwei Jahre Mord« teile ich Ihnen hierdurch folgendes mit:
 +
 +Ihre Ansicht, daß auch die angeblich in Niendorf bei Wismar begangene Bluttat zur Zuständigkeit der Rostocker Staatsanwaltschaft gehöre, ist falsch.
 +Es kommt Niendorf bei Kleinen in Frage, welches zur Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft Schwerin gehört. Sie schreiben ja auch selbst, daß die Staatsanwaltschaft in Schwerin das Verfahren eingestellt hat.
 +
 +Wegen des von Ihnen unter der Ueberschrift »Taten der Demminer Ulanen« behandelten Tatbestandes bemerke ich folgendes:
 +
 +  * 1. Wegen der Erschießung des Arbeiters Gräbler ist bei der hiesigen Staatsanwaltschaft seit Juni v. J. ein Ermittlungsverfahren anhängig, welches, da die Ermittlungen sehr schwierig und zeitraubend sind, bis heute noch nicht hat abgeschlossen werden können.
 +  * 2. Wegen der Schicksale der übrigen seinerseits in Gnoien verhafteten Arbeiter hat hier gleichfalls zunächst ein Ermittlungsverfahren geschwebt. Nachdem sich aber herausgestellt hatte, daß die gelegentlich des Abtransportes der Gefangenen vorgekommenen Bluttaten auf preußischem Gebiet vor Demmin und in Demmin sich zugetragen haben, habe ich das betr. Verfahren insoweit zuständigkeitshalber am 14. Dezember 1920 an den 1. Staatsanwalt in Greifswald abgegeben.
 +  * 3. Für die Erschießung des Stadtrates Seidel in Stavenhagen bin ich gleichfalls nicht zuständig.
 +
 +Soviel ich weiß, ist dieserhalb ein Ermittlungsverfahren beim 1. Staatsanwalt in Güstrow anhängig gewesen.
 +Unterschrift unleserlich.
 +
 +**Der Oberstaatsanwalt bei dem Landgericht. II 38/93 Breslau, den 31. August 1921.**
 +
 +Ihr Buch »Zwei Jahre Mord« habe ich erhalten. Zu meinem Bedauern bin ich aber auf Grund der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen nicht in der Lage, Ihnen Auskünfte über schwebende oder abgeschlossene Strafverfahren zu erteilen, soweit sie in Ihrem Buch behandelt sind und in den Bereich meiner Zuständigkeit fallen.
 +I. V.: Poppendick, Erster Staatsanwalt.
 +Stempel. Sterk, Kzl.-Inspektor.
 +- Beglaubigt. [123]
 +
 +**Der Generalstaatsanwalt beim Landgericht I.i J. 328/22. Berlin** NW 52, Turmstr. 91, den 25. April 1922.
 +
 +In Ihrer Broschüre »Zwei Jahre Mord« 4. Aufl. S. 19, berichten Sie über die Erschießung des Gastwirts Wilhelm Bilski und geben an, daß nach Aussage von Zeugen der die Erschießung leitende Offizier ein Leutnant Baum gewesen sei. Da sich diese Angabe in den Akten nicht befindet, so bitte ich Sie ergebenst um schleunige Mitteilung, worauf Ihre Kenntnis des Sachverhalts besteht und um Benennung aller Personen, die über die Tat oder die Täter irgend welche Auskunft zu geben vermögen.
 + - I. A.: gez. Dr. Burchardi, Staatsanwaltschaftsrat.
 +Beglaubigt.
 +- Stempel. Schmidt, Kanzleiangestellter.
 +Verfahren eingestellt
 +
 +**Der Oberstaatsanwalt. 3 J 2889/20 5 Flensburg, den 20. Okt. 1921.**
 +
 +Ihre Schrift »Zwei Jahre Mord« ist mir in Ihrem Auftrage vom Verlage »Neues Vaterland« zugesandt worden, da in ihm aufgenommen sind »eine Reihe von Morden, die innerhalb des für mich zuständigen Gebietes vorgekommen sind«. 
 +
 +In Frage kommt aber lediglich die mit der Ueberschrift »Der Arbeiter Paul Hoffmann in Flensburg« auf Seite 47 erwähnte Erschießung dieses Mannes in der Nacht zum 19. Dezember 1920. Ueber diesen Vorfall ist am 29. Dezember 1920 ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und am 3. Januar 1921 Voruntersuchung gegen den Major von Plüskow, Leutnant Dewald, Wachtmeister Arend und Kaufmann Reichardt beantragt worden. Nach ihrem Abschluß sind die Angeschuldigten durch Beschluß der Strafkammer des Landgerichts Flensburg vom 12. April 1921 außer Verfolgung gesetzt worden.
 +
 +Da Sie nach dem Inhalt Ihrer Schrift sowie dem Begleitschreiben mit der Strafprozeßordnung sicher soweit vertraut sind, um zu wissen, daß ich in einem Fall wie dem des Arbeiters Hoffmann von Amts wegen einzuschreiten habe, trotzdem es aber nicht für richtig gehalten haben, vor Herausgabe Ihrer Schrift Auskunft über das Ergebnis meiner Ermittlungen zu erfordern, mir diese vielmehr erst zugesandt haben, nachdem sie in zweiter Auflage erschienen ist, glaube ich davon ausgehen zu dürfen, daß meine Begründung des Antrages auf Außerverfolgungsetzung der Angeschuldigten und die Gründe des ihm stattgegebenen Strafkammerbeschlusses für Sie ohne Interesse sind. [124]
 +- Eine frühere Antwort war nicht möglich, da die Akten versandt waren.
 +- I. A.: gez. St.-A.-Rat Stolterfoth.
 +Beglaubigt: Boese, Kanzleiinspektor.
 +Stempel.
 +
 +**Der Oberstaatsanwalt.** 18 J 738/20 Essen, den 31. Oktober 1921.
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 +Auf Ihre am 28. August 1921 hier eingegangene Strafanzeige betreffend die Erschießung zweier Arbeiter in Essen.
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 +In der fraglichen Angelegenheit sind bereits April 1920 von mir und seitens der Militärbehörde eingehende Ermittlungen angestellt worden. Sämtliche in Frage kommenden Zeugen, auch die in Ihrer Broschüre benannten, sind vernommen worden. Die Täter haben jedoch nicht ermittelt werden können. Ich habe daher das Verfahren eingestellt.
 +- Unterschrift: Unleserlich.
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 +Von den 35 Staatsanwaltschaften haben 26 nicht geantwortet, insbesondere die Staatsanwaltschaft München, wo die meisten Fälle passiert waren. Alle Antworten betreffen entweder Zuständigkeitsfragen oder sie lehnen Auskunft ab oder sie geben die Richtigkeit meiner Angaben zu. Auf die Materie selbst geht keine Antwort näher ein. 
 +Kein Staatsanwalt hat versucht, die Richtigkeit meiner Darstellung zu bestreiten. Aber auch kein Staatsanwalt hat auf Grund der hier mitgeteilten Tatsachen ein eingestelltes Verfahren wieder aufgenommen oder ein neues eröffnet. 330 politische Morde, wovon 4 von links und 326 von rechts begangen wurden, sind und bleiben unbestraft.
 +==== DIE ORGANISATION DER POLITISCHEN MORDE ====
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 +Ich habe die Mörderorganisationen als Illusion, als Hirngespinst, als exaltierte Meinung Einzelner angesehen, die irgendwelche Erscheinungen verallgemeinerten. Ich muß mit tiefer Erschütterung feststellen, daß ich an dieser Feststellung nicht mehr festhalten kann.
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 +**Abg. Stresemann, Reichstag am 5. Juli 1922**
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 +Wie oben gezeigt, sind in den letzten Jahren die meisten bedeutenden Führer der extremen und gemäßigten Linken bis in die Reihen des Zentrums durch ungesetzliche Handlungen beseitigt, dagegen ist kein einziger Führer der extremen Rechten getötet worden. Ueberhaupt sind von den Linksradikalen nur wenige Morde begangen worden, von den Rechtsradikalen sehr viele. 
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 +Diese Morde sind außerordentlich differenziert. Jeder hat seine Eigenheit. Trotzdem lassen sich die bisherigen politischen Morde von Rechts auf drei Typen zurückführen, die sich im wesentlichen mit der Zeit ablösten. [125]
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 +==== Die unorganisierten Morde ====
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 +Es bricht ein Linksaufstand aus oder es wird ein solcher provoziert (Typ 1919). Einwohnerwehr, Studentenkorps und Freiwilligenverbände arbeiten an seiner Unterwerfung. Bei dieser Gelegenheit murkst man im Zeichen der »Ruhe und Ordnung« die persönlich oder durch Denunziation guter Freunde bekannten, ehrlichen Republikaner ab: Das sind Spartakisten. Weg damit!
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 +Die Truppen begehen zum Teil im angetrunkenen Zustand, zum Teil durch falsche Nachrichten aufgestachelt eine Reihe von weiteren Scheußlichkeiten. Die Offiziere sind fast immer beteiligt.
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 +Das bürgerliche Publikum, die sogenannte öffentliche Meinung, sieht in seiner blinden Angst um das heilige Eigentum nur die Gefahr, die ihm in dem Aufstand von Links droht. Die Verletzung des Rechtes aber, die in der Ermordung von angeblich am Aufruhr Beteiligten, meistens aber völlig Unbeteiligten besteht, läßt es kalt. Denn der Satz, daß ein Aufrührer auch ein Recht auf seinen Richter hat und nicht von einem kleinen Leutnant umgebracht werden darf, ist ihm keine Realität. Dies ist ein abstrakter Satz, der nichts mit dem Schutz des Eigentums zu tun hat.
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 +Dieser sozusagen handwerksmäßige Mord ist im kleinen Umkreis wirksam. Doch nur hier. Unfähig ist er, die großen, bekannten Republikaner zu erfassen. Hierzu dienen andere, bessere Methoden industrieller Art.
 +Die halborganisierten Morde
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 +Ein Putsch von Rechts wird benützt. Viel unverhüllter kann hier gemordet werden. Trotzdem legt man großen Wert auf Aufrechterhaltung der Fiktionen. So wird die Behauptung verbreitet, ein Aufstand von Links sei vorbereitet und man wolle nur der rechtmäßigen Regierung dagegen helfen. Dann verfährt man wie oben. Aber während man vorher willkürlich mordete, ist man jetzt bereits auf Auswahl der »Richtigen« bedacht. Längst durch geheime Organisationen vorbereitete Listen dienen diesem Zweck. 
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 +Man ist nicht etwa weniger blutdürstig und scheut auch nicht vor Massenmord zurück, aber man ist zielstrebiger geworden. Die Widerstrebenden, die sich »dem Aufbau«, der »Regierung der Arbeit« widersetzen, werden »auf Grund der erlassenen Gesetze« durch Standrecht beseitigt. Gelingt der Putsch, um so besser, mißlingt er, so werden die Gerichte schon dafür sorgen, daß den Mördern nichts passiert. Und sie haben dafür gesorgt. Kein einziger Mord von Rechts ist wirklich gesühnt. Selbst gegen geständige Mörder wird das Verfahren auf Grund der Kapp-Amnestie eingestellt.
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 +Die beiden Methoden sind trotz ihrer Wirksamkeit nicht zu allen Zeiten brauchbar. Vor allem nicht in ruhigen. Doch sind sie Vorarbeit; Bausteine zum Ziel: Tod allen Republikanern; Methoden zum Ausbau der Organisation. [126]
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 +==== Der hochorganisierte Mord ====
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 +**Am auffälligsten sind die Morde, die in Zeiten vollkommener Ruhe begangen wurden, wo weder ein wirklicher noch ein fiktiver Aufstand von Links vorlag.** Hier versagen die bisherigen Entschuldigungen und Beschönigungen. Es bleiben nur zwei Methoden übrig.
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 +**Erstens wird gesagt, es lohne nicht, darüber so viel Aufsehens zu machen. Der Mann war ja verrückt, er litt an Verfolgungswahn.** Er glaubte, er werde eines Tages umgebracht. Ist dies nicht Beweis genug, daß er sein kommendes Los erkannte? Man sieht, was für Menschen zur Linken gehören. Indem man dem Toten sein einziges Gut, seinen guten Namen raubt, befreit man sich durch diesen leichenschänderischen Dreh von jeder Verantwortung. 
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 +**Immerhin verspricht die Regierung natürlich eine strenge Untersuchung. Von Zeit zu Zeit kommen immer kürzere Berichte über den ordnungsgemäßen Verlauf.** Neue politische Probleme füllen die Zeitungen, nach einiger Zeit ebbt es in der Blätterflut ab. Nur einige Zeitungen, die immer schreien, kläffen noch. Bald ist der Tote vergessen.
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 +**Oder der Mord wird schon vorher der Oeffentlichkeit plausibel gemacht.** Das Opfer muß derart verdächtigt werden, daß seine Ermordung als ein befreiender Schritt, als eine Heldentat angesehen wird. »Endlich ist Deutschland diesen Menschen los, der so viel Unglück über sein Vaterland gebracht hat«. 
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 +**Viele Feinarbeit, hohe Kultur, glänzende Vorbereitung, planmäßiges Zusammenwirken gehören dazu, bis das Opfer erliegt.** Angesagt zählt doppelt. Daher zunächst in der Oeffentlichkeit systematische Hetze zum Mord: »Der Mann ist ein Schädling. Er muß weg. Nur die nationale Einheitsfront kann helfen.« So belfert die Presse. Bis selbst der Letzte der Letzten in Kleinkuhdorf das weiß.
 +Gibt es Mordorganisationen?
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 +**Mordorganisationen im eigentlichen Sinn des Wortes, d. h. Organisationen, deren einziger Zweck der politische Mord ist, gibt es im heutigen Deutschland wahrscheinlich nicht.** Wohl aber Organisationen, die den politischen Mord als Nebenzweck oder als Mittel zum Zweck bejahen. Ihre eigentlichen Ziele sind nationalistische. 
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 +**Drei an sich trennbare Ziele vereinen sich in ihnen.** Das erste ist das monarchistische. Daher wenden sich diese Organisationen gegen die Republik und vor allem gegen ihre Repräsentanten. Dabei sind sich jedoch die verschiedenen Organisationen weder über die Form der kommenden Monarchie (ob absolut oder konstitutionell) noch über ihren Umfang (Deutscher Einheitsstaat oder Rückkehr aller Herrscher) noch über die Person des künftigen Monarchen (Wittelsbach oder Hohenzollern) einig. Vor allem fehlt ein populärer Thronkandidat. Dieser glückliche Zufall wird vielleicht ähnlich wie in Frankreich nach 1870 die Republik retten. [127]
 +
 +**Die zweite Tendenz ist die imperialistische. Der Friedensvertrag von Versailles hat Deutschland zerstückelt und hat ihm Gebiete mit deutscher Bevölkerung genommen.** Demgegenüber sind Bestrebungen auf Wiedergewinnung der gegen ihren Willen von Deutschland abgetrennten Gebiete und auf Verbesserung von Deutschlands ökonomischer Lage vollkommen berechtigt. Darüber hinaus befürworten diese Vereine eine ausgesprochen imperialistische Politik, insbesondere den Rachekrieg.
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 +**Die dritte Wurzel dieser Bewegungen ist der Antisemitismus.** Er geht von ganz übertriebenen Vorstellungen über die Bedeutung und den Einfluß der Juden aus.
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 +Auch diese drei Programme werden zum Teil offiziell nicht zugegeben. Sie treten der Oeffentlichkeit gegenüber hinter berufsständischen, anderen politischen, wissenschaftlichen und kulturellen Zielen zurück. Bei manchen Organisationen wird sogar streng an der Fiktion der politischen Neutralität festgehalten. Ueberall spielen die Offiziere der alten Armee die größte Rolle.
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 +**Die drei Bewegungen kommen meistens untereinander vermengt vor. Die meisten Geheimbündler sind gleichzeitig Monarchisten, Imperialisten und Antisemiten.** Die extremistische Einstellung der Organisationen führt sie zu dem Glauben, daß man mit der Tötung eines politischen Gegners gleichzeitig die von ihm vertretenen Ideen beseitigen könne. Eine zweite, davon prinzipiell verschiedene Wurzel von politischen Morden ist die manchmal zwingend auftretende Notwendigkeit der Beseitigung von unbequemen Mitwissern, von denen man einen Verrat der Organisation befürchtet.
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 +==== Kommunistische Geheimorganisationen ====
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 +**Daß es auch kommunistische Geheimorganisationen gab, ist nicht zu bestreiten. Nach der Mentalität dieser Partei, die z. B. den Märzaufstand 1921 verursacht hat, ist an deren Existenz kaum zu zweifeln. Aber die Nachrichten hierüber haben sich in allen Fällen als maßlos übertrieben herausgestellt. **
 +
 +**Wo solche Organisationen tatsächlich bestanden, haben stets Spitzel und Provokateure von Rechtsparteien eine große Rolle gespielt.** Das liegt daran, daß die Partei überhaupt mit Spitzeln stark durchsetzt ist. In München hat man sogar Bezirksführer, also Funktionäre, als Angehörige der Polizei entlarvt.
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 +**In vielen Fällen waren auch die Nachrichten über kommunistische Geheimorganisationen nach der bewährten Methode »Haltet den Dieb« einfach aus der Luft gegriffen. Zur Verbreitung der Berichte dienten eigene deutschnationale Nachrichtenstellen.**
 +
 +Auch ein Mann, dem man dies eigentlich nicht zutrauen sollte, General Ludendorff, hat sich neuerdings diesem Verfahren angeschlossen. [128] In einem Interview mit dem Berliner Korrespondenten der »Daily Expreß« (»Vossische Zeitung«, 25. Juli 1922) sagte er: **»Die Erklärung der Ermordung Dr. Rathenaus liegt in der Tatsache, daß die Ermordung deutscher Minister vor mehr als einem Jahr von kommunistischen Organisationen beschlossen worden ist. In ernsten politischen Kreisen gibt es keine Mörderorganisation.«** Einen Beweis für diese Behauptung hat Ludendorff nicht angetreten.
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 +Ich will natürlich die Möglichkeit kommunistischer Geheimorganisationen nicht leugnen. Wahrscheinlich haben sie auch politische Schäden angerichtet. Sicher aber ist, daß sie für keinen einzigen politischen Mord verantwortlich zu machen sind.
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 +==== Geschichte der Geheimorganisationen ====
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 +**Die Geheimbünde sind erwachsen auf dem Boden der Deutschen Vaterlandspartei.** Nach der Revolution sammelten sie sich wieder in den offiziell unpolitischen Bürgerräten, Einwohnerwehren, Freikorps. Den größten Sammelherd, aus dem pilzartig die Geheimorganisationen entsprangen, bildete das Baltikumabenteuer. Unter einem angeblichen Fürsten Awalow-Bermondt und unter dem Grafen v. d. Goltz bildeten sich Armeen, z. B. die eiserne Division, die sogar eigenes Papiergeld (gedeckt durch die der deutschen Regierung gehörigen Waffenvorräte) ausgaben. 
 +
 +**Die Hoffnung auf Land trieb viele demobilisierte Soldaten dazu, sich von den von der deutschen Regierung öffentlich unterstützten Verbänden anwerben zu lassen.** Nach dem kläglichen Scheitern des zuerst gegen die Bolschewisten, dann gegen die lettische Regierung geführten Kampfes fluteten die Baltikumer nach Deutschland zurück. 
 +
 +**Sie waren die Grundlage für den Kapp-Putsch, der ja auch mit der Fiktion des Kampfes gegen den Bolschewismus inszeniert wurde.** Kaum war er gescheitert, so rief die Ebertregierung, die vor den aufrührerischen Truppen hatte flüchten müssen, dieselben Truppen zum Kampf gegen die Arbeiter ins Rheinland. Natürlich mußten so die am Kapp-Putsch beteiligten Truppen dieses Unternehmen für vollkommen legal halten.
 +
 +**Die Freikorps wurden zum großen Teil auf Betreiben der Entente aufgelöst. Dies ging nicht immer einfach vor sich.** So sollte z. B. in Soest im Juni 1920 die Maschinengewehrkompagnie Libau (eine baltische Formation, die seit dem November 1919 in Deutschland verpflegt wurde) aufgelöst werden. Sie leistete Widerstand und es kam zu einer Schießerei mit der Reichswehr, bei der fünf Reichswehrsoldaten getötet und mehrere schwer verwundet wurden. Vor dem Kriegsgericht in Münster kam es zur Verhandlung. Die Baltikumer gaben an, sie hätten geglaubt, Bolschewiki vor sich zu haben und wurden auf Grund dieses Putativ-Spartakismus freigesprochen. (»Freiheit«, 23. Juni 1920.) [129]
 +
 +Dagegen wurde ein Soldat namens Kaiser, der sich nach dem Kapp-Putsch unerlaubt aus der Ehrhardt-Brigade entfernt hatte, weil er von einem Offizier mißhandelt worden war, zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt. (Preuß. Landtag, 22. Mai 1922.) Auf eine Interpellation antwortete die Regierung, die Strafe bestehe zu Recht, weil die Marinebrigade des Kapitän Ehrhardt eine Truppe im Sinne des Militärstrafgesetzes gewesen sei.
 +
 +**Aus dem Lebenslauf der einzelnen Individuen kann man den Werdegang der ganzen illegalen Bewegung studieren.** Ein großer Teil der Mitglieder, soweit sie bekannt geworden sind, war nicht im Feld, weil sie damals noch zu jung waren. Zum Teil dienten sie als Hilfsdienstpflichtige oder als Jugendwehr. Dann wurden sie Mitglied einer Einwohnerwehr, kämpften in Freikorps gegen die bayerische Räterepublik, dann im Baltikum, machten den Kapp-Putsch mit und zuletzt finden wir sie beim Selbstschutz in Oberschlesien.
 +
 +**[[geschichtsarbeit]] und [[rätezeit]] **
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